USA: Eigene Strecken, lange Züge, grosse Innovation

Hier ein Bericht von Urs Brotschi. Urs ist Studiengangleiter “Verkehrssysteme” an der ZHAW in Winterthur. Wir haben schon einige interessante Gespräche zusammen geführt. Hier etwas zum Thema Traktion in den USA.

Nordamerikanische Güterbahnen produzieren nicht nur günstig, weil sie sich ihre Trassen nicht mit Personenzügen teilen. Und obwohl sie mit Dieseltraktion unterwegs sind, ist die Umwelt kein Nonvaleur; die Auflagen dafür werden weiter verschärft.

Nordamerikanische Güterbahnen produzieren zu äusserst tiefen Kosten. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts von 2007 betragen die Kosten für einen Tonnenkilometer € 0.01. Durch einen Lastwagen erbracht, schlägt dort die gleiche Leistung mit € 0.20 zu Buche. Diese Kostendifferenz wie auch die grossen Distanzen dürften Gründe für den hohen Bahnanteil am Warentransport von 45 Prozent sein. Lastwagen bewältigen bloss 30 Prozent des Güterverkehrs. In Europa ist die Kostendifferenz zwischen Schiene und Strasse geringer. Für einen Tonnenkilometer sind bei der Bahn € 0.11 zu berappen und beim Lastwagen € 0.14. Der Bahnanteil in der EU beträgt bescheidene 10,7 Prozent; auf der Strasse wird mit 45,6 Prozent das Vierfache dieser Leistung erbracht.

Länger, schwerer, langsamer
In Europa sind Reise- und Güterzüge in der Regel auf denselben Gleisen unterwegs. Schnelle Reisezüge geben den Takt an. In den zur Verfügung stehenden Lücken müssen Güterzüge je nach Rollmaterial mit Geschwindigkeiten von bis zu 120 km/h verkehren. In den Vereinigten Staaten sind, mit Ausnahme des Nordost-Korridors von Boston nach Washington D. C. oder von Vororten von Grossstädten, ausschliesslich Güterzüge unterwegs, die im Durchschnitt fünfmal so lang (3 Kilometer) und zehnmal so schwer (3000 Tonnen) als in Europa sind. Zur kostengünstigen Produktion tragen auch Standard-Diesellokomotiven bei.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen, verkehren Güterzüge in Nordamerika mit Dieseltraktion. Heute werden sechsachsige Lokomotiven mit einer Leistung von 3250 Kilowatt eingesetzt, die von den Herstellern GE und EMD in grossen Stückzahlen produziert werden. Mit ihrem Gewicht von bis zu 190 Tonnen ermöglichen sie eine Anfahr-Zugkraft von bis zu 700 Kilo-Newton. Im Normalfall werden einem Güterzug mehrere Lokomotiven vorgespannt. Anfang 2010 wurde von Union Pacific versuchsweise ein 5,5 Kilometer langer intermodaler Zug von Texas nach Long Beach (Kalifornien) geführt. 7 Diesellokomotiven, verteilt über die Zugslänge, beförderten 1000 Standard-Container auf 200 Güterwagen. Die Komposition hatte ein Gewicht von rund 16 000 Tonnen. In der Schweiz müssten für die gleiche Anzahl Container mehr als 13 Züge eingesetzt werden.

Vierachsige europäische Elektrolokomotiven haben in der Regel eine Leistung von 5,6 bis 6,4 Megawatt mit einer Anfahr-Zugkraft von 300 Kilo-Newton bei einem Gewicht von 84 bis 88 Tonnen. Moderne Umrichterlokomotiven können die volle Anfahr-Zugkraft bis in einen Geschwindigkeitsbereich von 60 bis 80 km/h nutzen. Diese Leistungen sind nötig, um Güterzüge mit bis zu 75 km/h durch die Alpen zu befördern. Für einen Containerzug von 1600 Tonnen werden auf Steigungen von 26 Promille am Gotthard 3 Lokomotiven benötigt. Bei ähnlichen Steigungen verkehren Güterzüge in Kalifornien (Cajon-Pass, Tehachapi-Pass) mit bloss 25 bis 30 km/h.

In den kommenden Jahren werden die Umweltauflagen weiter verschärft. In den USA ist derzeit die Phase 3 der Emissionsgrenzwerte für Verbrennungsmotoren in Kraft, ab 2015 soll Phase 4 gelten. In Europa gelten ähnliche Werte (Stage III A bzw. III B). Um die Vorgaben einhalten zu können, steigern die Hersteller die Effizienz der Motoren, und sie optimieren den Verbrennungsprozess. In Phase 4 sollen die Abgase vom Feinstaub befreit werden. Um den Stickoxidanteil massiv zu reduzieren, wird Harnstoff als Katalysator in den Abgasstrom eingespritzt.

Neue Motoren in alten Loks
Auch auf nordamerikanischen Rangierfeldern findet eine interessante Entwicklungen statt. Für eine Leistung von bis zu 1500 Kilowatt werden von Nischenanbietern wie Railpower Technologies Corporation oder National Railway Equipment Co. bis zu 50 Jahre alte vierachsige Diesellokomotiven umgebaut. Auf dem Rahmen werden neue Führerkabinen und bis zu drei neue Standardmotoren von 500 Kilowatt mit elektronischer Steuerung installiert. Je nach Last wird der zweite oder gar der dritte Motor im Betrieb zugeschaltet. Dadurch kann ein effizienter und umweltschonender Betrieb realisiert werden.

Und wo steht die Eisenbahn diesbezüglich in der Schweiz? Hier wird das Streckennetz fast ausschliesslich elektrisch betrieben, und es wird in der Regel nach perfekten und weniger nach einfachen Lösungen gestrebt. Vor 10 Jahren wurde eine grössere Zahl von hydraulischen Diesellokomotiven (Am 843) für die letzte Meile des Güterverkehrs beschafft; in den nächsten Monaten werden sie mit modernen Zweikraft-Maschinen (Eem 923) ergänzt. Sie verkehren unter Fahrdraht elektrisch und in den Anschlussgleisen thermisch.

Urs Brotschi leitet an der ZHAW School of Engineering den Studiengang Verkehrssysteme.

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